Bahnhofskathedralen - Europas Reise-Paläste

Mailand

Quelle: Pressebild (ard2017)
Quelle: Pressebild (ard2017)

Sie wirken wie Kulissen aus einer verlorenen Zeit. Ihre pompösen Empfangshallen strotzen vor königlichem Stuckwerk. Vorne Schloss, in der Mitte Kathedrale, hinten Tor zur weiten Welt - die Bahnhöfe des 19. Jahrhunderts. Erschaffen in einer Epoche des Dampfes, der Mechanik und des Zukunfts- und Erfindergeistes - gepaart mit dem viktorianischen Lebensgefühl - die eine ganze Welt beherrschte. Der Prunk war gewollt, die Bahn galt vor eineinhalb Jahrhunderten als das Fortbewegungsmittel der Reichen.


Einem Steingebirge gleich erhebt sich inmitten der Stadt Milano Centrale - Mailands Hauptbahnhof. Seine Entstehung dauerte 25 Jahre. Am Ende erschuf sich Mailand eine Bahnhofskathedrale. Ein Monumentalbau geprägt von zwei Epochen: der Monarchie und dem Faschismus.

Spuren dieser politischen Systeme finden sich heute noch am Kopfende von Gleis 21. Wie den Sala Reale - den königlichen Wartesaal des Savoyer Königs. Und wer genau hinschaut erkennt noch die Zeichen der nachfolgenden Herrschaft Benito Mussolinis. Ein Hakenkreuz eingelassen in das hölzerne Parkett des Wartesaals. Lange Zeit lag es unter einem riesigen Teppich versteckt.
Man erschuf den Bahnhof zu einer Zeit als der italienische "Stile Liberty" in Mode kam. Er prägte die Kunst und Architektur in Mailand. Aber auch das Casino im benachbarten San Pellegrino Terme. Ein Spiel- und Lusttempel der Mailänder Bourgeoisie. Hierhin reiste man mit der Bahn und verbrachte seine Zeit beim Kuren und verbotenen Spielen.

Zur Zeit der Industrialisierung erblühte in Italien die Gestaltung moderner Nekropolen. Autor und Regisseur Jeremy J.P. Fekete entdeckt nahe den Rangiergleisen des Mailänder Bahnhofes den 1866 eröffneten Cimitero Monumentale. Mit allegorischen Todesengeln und trauernden Marien verband man die Vorstellung einer "Stadt der Toten" inmitten der "Stadt der Lebenden". Erschaffen als eine Nekropole für die Mailänder Bourgeoisie.

In der Squadra Rialzo, der alten Mechaniker-Werkstatt des Mailänder Bahnhofes findet man sie noch: Schätze aus der Eisenbahnzeit. Unter anderem Lokomotiven die heute noch die Bahnstrecken des Umlands befahren und das Herz jedes alten und jungen Lokführers höher schlagen lassen. Lokomotive fahren ist für einige gar eine Lebensphilosophie.
Diese Kathedralen des Verkehrs mit ihren Perrons, Gleisen, Fahrkartenschaltern und riesigen mechanischen Uhren erfuhren unlängst eine Renaissance: von außen geliftet und von innen verjüngt, beflügeln sie erneut die Fantasien eiliger Durchreisender, technikverliebter Eisenbahner und Jüngern des retro-futuristischen Steampunks. Mit fokussiertem Blick und aus dem steten Gewusel der Hallen fliehend, finden sich die Menschen, die nicht nur ein-, aus- oder umsteigen. Die Dokumentationsreihe folgt ihnen an ihre Plätze und zeigt ihre Gedanken, Sehnsüchte und Hoffnungen. Jede dieser Kathedralen hat ihren eigenen Lebenslauf und Charakter, geprägt durch das jeweilige Land und die jeweilige Stadt. Für Autor und Regisseur Jeremy J.P. Fekete sind diese Bahnhöfe der Jahrhundertwende die alten, vergessenen Herzen der Metropolen, von denen aus die Welt entdeckt wurde. Seine Dokumentationsreihe erzählt von der romantischen Seite dieser noch immer faszinierenden Stationen.
 

Die Sendung wird ausgestrahlt am Sonntag, den 09.12.2018 um 14:05 Uhr auf arte.