Geschlossene Gesellschaft

Der Missbrauch in der Odenwaldschule

Quelle: Pressebild (ard2017)
Quelle: Pressebild (ard2017)

Der Missbrauch an der Odenwaldschule war 2010 das beherrschende Thema in den deutschen Medien und Feuilletons. Regina Schillings und Luzia Schmids Film zeigt das große Leid, das den Opfern der sexualisierten Gewalt widerfahren ist. Betroffene wie Jürgen Dehmers, der es durch hartnäckige Aufklärungsarbeit schaffte, dass Hunderte von Opfern nach Jahrzehnten ihr Schweigen brachen, erzählen ihre Geschichte. Altschüler, die als Jugendliche Zeugen des Missbrauchs wurden, berichten, warum sie dreißig Jahre lang schwiegen.


Der Missbrauch an der Odenwaldschule war 2010 das beherrschende Thema in den deutschen Medien und Feuilletons. Es schien, als ob die gesamte deutsche Öffentlichkeit aufarbeiten wollte, was sie elf Jahre zuvor versäumt hatte - dem nachzuforschen, was eigentlich seit November 1999 bekannt war. An der renommierten Odenwaldschule hatte der charismatische und bis in die höchsten Kreise der deutschen Gesellschaft vernetzte Schulleiter Gerold Becker Kinder missbraucht.

Viele verstörende Details sind im Laufe des Jahres 2010 über den Missbrauch an der Odenwaldschule bekannt geworden. Der vorläufige "Abschlussbericht" der beiden Anwältinnen, die die Ereignisse im Auftrag der Schule aufarbeiteten, verzeichnet mindestens 132 Fälle seit 1969; allein der langjährige Schulleiter Gerold Becker missbrauchte 86 Jungen, mindestens sechs andere Lehrer zählen außerdem zu den Tätern, die Dunkelziffer liegt sehr viel höher.

Die Frage, weshalb gerade an der Heppenheimer Vorzeigeschule Lehrer über Jahrzehnte hinweg Schüler missbrauchen konnten, weshalb so viele davon wussten und sich trotzdem nichts änderte, kann auch der Bericht nicht beantworten. Aber er fordert die Lehrer und Verantwortlichen von damals auf, sich den drängenden Fragen, warum sie nichts sahen und nicht handelten, zu stellen. Was war so schützenswert an der Odenwaldschule? Warum war es für viele Lehrer so schmerzhaft, der Wahrheit ins Auge zu blicken? Hauptverantwortliche der so genannten Vertuschung von 1998/99 beantworten nun vor der Kamera diese Fragen. Ihnen ging es vor allem darum, dass die Schule keinen Schaden nimmt. Denn sie stand für das "bessere Deutschland". Zivilcourage und "Nie wieder Krieg" waren die wichtigsten Maximen, die in der Nachkriegszeit an diesem Internat galten. In den 1960er und 1970er Jahren wurde die Odenwaldschule ein Lieblingskind der Reformpädagogik und der westdeutschen linksliberalen Bildungselite, die auch ihre Kinder dorthin schickte: die Weizsäckers, Dönhoffs, Dohnanyis, Neven Du Monts, um nur einige zu nennen.

Regina Schillings und Luzia Schmids Film zeigt das große Leid, das den Opfern der sexualisierten Gewalt widerfahren ist. Betroffene wie Jürgen Dehmers, der es durch hartnäckige Aufklärungsarbeit schaffte, dass Hunderte von Opfern nach Jahrzehnten ihr Schweigen brachen, erzählen ihre Geschichte. Altschüler, die als Jugendliche Zeugen des Missbrauchs wurden, berichten, warum sie dreißig Jahre lang schwiegen. Die Autorinnen filmten bereits vor der großen Medienenthüllung, als erste Aufklärungsgespräche zwischen der Schule und Betroffenen stattfanden. Sie drehten auf der 100-Jahr-Feier der Schule im Sommer 2010, als ein unerhörter Versuch unternommen wurde: "Wahrheit. Ein Hearing" hieß die Veranstaltung, in der Betroffene auf Lehrer trafen, die wussten, was an ihrer Schule passierte und die trotzdem nicht redeten. So ist ihr Film auch ein Dokument menschlichen Versagens - und des kolossalen Scheiterns der Erzieher am eigenen Ideal.
Einige Zeit ist vergangen, seit die große Medienlawine über die Odenwaldschule hereinbrach. Die Beteiligten des so genannten Skandals sammeln die Scherben auf. Im Interview äußern sich unter anderem: Jürgen Dehmers (Pseudonym), Betroffener; Wolfgang Harder, ehemaliger Schulleiter und Nachfolger von Gerold Becker; Benita Daublebsky, ehemaliges Vorstandsmitglied und Mitarbeiterin; Wolfgang Edelstein, ehemaliger Lehrer und emeritierter Direktor des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung. Ein Film von Regina Schilling und Luzia Schmid

Die Sendung wird ausgestrahlt am Montag, den 06.01.2020 um 01:00 Uhr auf HR.

06.01.2020
01:00
Livestream
Audio-Format:stereo
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Farbe:farbe
Audio-Beschreibung: nein
Hörhilfe: ja
HDTV: nein
Logo-Event: nein
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Schlagwörter:Dokumentation/Reportage, Recht/Justiz
Alternative Ausstrahlungstermine:
06.01.2020 01:00 Uhr HR
16.05.2019 22:25 Uhr 3sat
03.05.2018 23:45 Uhr SR
03.05.2018 23:45 Uhr SWR
02.10.2014 23:15 Uhr WDR