Bahnhofskathedralen - Europas Reise-Paläste

London

Quelle: Pressebild (tvdirekt)
Quelle: Pressebild (tvdirekt)

Der St. Pancras Bahnhof war die letzte große Eruption der "Railway Mania" des Industriezeitalters. Als die reiche Midland Railway mit einer eigenen Verbindung in die Hauptstadt drängte, genügte ihr die Duldung auf dem fremden Gleis von Euston Station nur zu Beginn. Die zweite Weltausstellung 1862 rief nach einem Neubau: Die St. Pancras Train Station war von Anfang an etwas Besonderes.


Der Bahnhof St. Pancras: Sinnbild der letzten großen Eruption der "Railway Mania" des Industriezeitalters. Erbaut zur zweiten Londoner Weltausstellung 1862. Land dazu nahm sich die Railway rund um die Kirche von Saint Pancras sowie durch den Abriss der benachbarten Armenviertel. Die Toten auf dem Friedhof wurden einfach umgebettet. Entstanden ist eine etwas andere Kathedrale - aus Gusseisen und Glas.

Allein die Bahnhofshalle mit ihrem einzigen 74 Meter breiten Bogen ist ein Meisterwerk der Baukunst. Der Kirchenarchitekt George Gilbert Scott, damals längst eine Berühmtheit, gewann den Wettbewerb für das Verwaltungsgebäude und Midland Hotel. Die 38 Zimmer im Chambers' Club, die Lobby, die Restaurants, der alte Ladies' Smoking Room - damals der erste auf der  Welt - und "The Grand Staircase" mit seinen Teppichkaskaden lassen einen heute wieder eine fremde, große Zeit betreten: die Zeit der Ersteröffnung 1873, die Zeit, da England Weltbeherrscher und Victoria auch Kaiserin von Indien war.

Bahnhöfe wie St. Pancras in London sind für Jünger des Steampunks wahre Tempel ihrer Fantasien und Träume. Ihre Elemente sind dampf- und zahnradgetriebene Mechanik, viktorianischer Kleidungsstil mit dem dazugehörigen Werte-Modell und Abenteuerromantik, wie aus den Welten von H. G. Wells oder eines Jules Verne. Damit kreieren die Steampunker ihre Sicht auf eine Zukunft, wie sie in früheren Zeiten entstanden sein könnte.

Regisseur Jeremy J.P. Feketes Wege zu einigen von ihnen führen in eine der ehemaligen Wasserpumpstationen aus viktorianischer Zeit. Ein unvermuteter Kontrast bietet die Art und Weise wie St. Pancras taubenfrei gehalten wird:  durch den Einsatz von Falken.
Sie wirken wie Kulissen aus einer verlorenen Zeit. Ihre pompösen Empfangshallen strotzen vor königlichem Stuckwerk. Vorne Schloss, in der Mitte Kathedrale, hinten Tor zur weiten Welt - die Bahnhöfe des 19. Jahrhunderts. Erschaffen in einer Epoche des Dampfes, der Mechanik und des Zukunfts- und Erfindergeistes - gepaart mit dem viktorianischen Lebensgefühl - die eine ganze Welt beherrschte. Der Prunk war gewollt, die Bahn galt vor eineinhalb Jahrhunderten als das Fortbewegungsmittel der Reichen.

Diese Kathedralen des Verkehrs mit ihren Perrons, Gleisen, Fahrkartenschaltern und riesigen mechanischen Uhren erfuhren unlängst eine Renaissance: von außen geliftet und von innen verjüngt, beflügeln sie erneut die Fantasien eiliger Durchreisender, technikverliebter Eisenbahner und Jüngern des retro-futuristischen Steampunks. Mit fokussiertem Blick und aus dem steten Gewusel der Hallen fliehend, finden sich die Menschen, die nicht nur ein-, aus- oder umsteigen.

Die Dokumentationsreihe folgt ihnen an ihre Plätze und zeigt ihre Gedanken, Sehnsüchte und Hoffnungen. Jede dieser Kathedralen hat ihren eigenen Lebenslauf und Charakter, geprägt durch das jeweilige Land und jeweilige Stadt. Für Autor und Regisseur Jeremy J.P. Fekete sind diese Bahnhöfe der Jahrhundertwende die alten, vergessenen Herzen der Metropolen, von denen aus die Welt entdeckt wurde. Seine Dokumentationsreihe erzählt von der romantischen Seite dieser noch immer faszinierenden Stationen.

Die Sendung wird ausgestrahlt am Mittwoch, den 23.09.2020 um 01:45 Uhr auf Arte.