corona nachgehakt

Was Covid-19 mit dem Immunsystem macht

Quelle: Pressebild (ard2017)
Quelle: Pressebild (ard2017)

Das Immunsystem wehrt sich gegen Covid-19 wie gegen jeden Angriff. Aber warum wirkt die Verteidigung oft nur unzureichend und führt zu schweren Verläufen oder zum Tod?
Der Immunologe Professor Joachim Schultze, Direktor am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen in Bonn, forscht zum Thema Demenz und machte dabei eine bahnbrechende Entdeckung. Er fand Parallelen zur Reaktion des Immunsystems auf eine Covid-19-Infektion. Zudem konnten er und weltweit vernetzte Wissenschaftler feststellen, dass die Reaktion auf Medikamente sehr individuell ausfällt.


Das Immunsystem wehrt sich gegen Covid-19 wie gegen jeden Angriff. Aber warum wirkt die Verteidigung oft nur unzureichend und führt zu schweren Verläufen oder zum Tod?

Der Immunologe Professor Joachim Schultze, Direktor am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen in Bonn, forscht zum Thema Demenz und machte dabei eine bahnbrechende Entdeckung. Er fand Parallelen zur Reaktion des Immunsystems auf eine Covid-19-Infektion. Zudem konnten er und weltweit vernetzte Wissenschaftler feststellen, dass die Reaktion auf Medikamente sehr individuell ausfällt. Die Wissenschaftler hoffen nach ersten Erfolgen, nun viel genauer Medikamente einsetzen zu können, um nicht nur Covid-19 besser zu bekämpfen. Auch für andere Krankheiten eine große Hoffnung.

Im Angesicht von steigenden Infektionszahlen und der zu erwartenden Grippewelle in den kalten Monaten, rätseln Wissenschaftler weiterhin, ob nach einer Infektion mit Covid-19 eine Immunität gegen das Corona-Virus besteht - und wie lange diese anhält. Bisher war die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person mehrfach mit dem Erreger in Kontakt kommt, wegen der vergleichsweise niedrigen Infektionszahlen gering. Doch die Berichte von Menschen, die sich ein zweites Mal angesteckt haben sollen, mehren sich.

So berichtet der niederländische Rundfunksender NOS mit Verweis auf die Aussagen von Forschern in beiden Ländern, dass sich in Belgien und den Niederlanden bereits genesene Patienten erneut mit dem Corona-Virus angesteckt haben sollen. Kurz zuvor war ein solcher Fall aus Hongkong bekannt geworden. Ein 33-jähriger It-Spezialist, der bereits im April an Covid-19 erkrankt und wieder genesen war, wurde ein zweites Mal positiv getestet.

Der derzeitige Forschungsstand deutet zwar darauf hin, dass viele Patienten eine Immunantwort auszubilden scheinen - insbesondere diejenigen, die einen schweren Verlauf hatten - doch es wird deutlich, dass das Immunsystem nicht bei jedem gleich reagiert.

Studien zeigen, dass die Konzentration der Antikörper gegen SARS-CoV-2 mit der Zeit abnimmt. Das ist ein üblicher Vorgang, allerdings haben die Forscher bei einigen Patienten mit milden Verläufen schon nach drei bis sieben Wochen keinerlei Antikörper mehr im Blut gefunden. "Daraus lässt sich nicht automatisch ableiten, dass hier keine Immunität vorliegt, aber es ist wahrscheinlich, dass ein möglicher Schutz weniger stabil und von kürzerer Dauer ist", erklärt Florian Klein, Direktor des Instituts für Virologie an der Uniklinik Köln, im Gespräch mit tagesschau.de.

Doch was genau passiert im Körper, wenn ein Virus eindringt? Innerhalb kürzester Zeit schreitet die körpereigene Immunabwehr-Antwort ein: Aus Blut und Lymphbahnen strömen Granulozyten, Fresszellen und Killerzellen herbei, um das Virus zu bekämpfen. Dabei werden sie von zahlreichen Plasmaproteinen unterstützt, die entweder als Botenstoffe dienen oder die Zerstörung des Virus mit vorantreiben.

In vielen Fällen reicht diese erste Aktivität des Immunsystems bereits aus, um einen Eindringling zu bekämpfen. Dass das System arbeitet, spüren wir unter anderem an Erkältungssymptomen und Fieber.

In Bezug auf Covid-19 wird zwar insbesondere von Antikörpern gesprochen - diese machen allerdings nur einen Teil der Immunantwort aus. In Wirklichkeit passiert im Körper beim Eindringen eines Virus noch deutlich mehr.

Besonders wichtig für die Immunantwort des Körpers sind die weißen Blutkörperchen, darunter die sogenannten B-Zellen und T-Zellen. Die B-Zellen produzieren später die Antikörper, die Viren wie das Corona-Virus gezielt erkennen und bekämpfen.

Bei asymptomatischen Probanden haben Forscher aber vor allem eine Immunreaktion über die T-Zellen nachgewiesen. Die sogenannten T-Helferzellen unterstützen bei der Immunabwehr, produzieren Zytokine (Proteine, die gerade vor allem im Zusammenhang mit einer Überreaktion des Immunsystems bei schweren Corona-Verläufen auftauchen) und können die Antikörperproduktion ankurbeln. Andere T-Zellen erkennen und zerstören infizierte Zellen auch selbst.

In den bisherigen, teils unveröffentlichten Studien interpretieren die Forscher ihre Ergebnisse so: Antikörper werden nach einer schweren und langwierigen Infektion gebildet. In den ersten Tagen direkt nach der Infektion aber, also an der ersten Kampf-Front gegen das Virus, könnten die T-Zellen eine weitaus wichtigere Rolle bei der Virusabwehr spielen.

Auch die gemeinsame Forschung der Charité - Universitätsmedizin Berlin, der Universität Bonn, des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) und des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) bezieht sich auf Immunzellen, die relativ früh zur Abwehr von Infektionen mobilisiert werden: die sogenannten myeloiden Zellen, zu denen auch Neutrophile und Monozyten gehören.

Für die Studie, bei der Joachim Schultze als Koordinator maßgeblich eingebunden war, wurden Blutproben von insgesamt 53 Männern und Frauen mit Covid-19 aus Berlin und Bonn mit mildem und schweren Krankheitsverlauf mit Blutproben von Personen mit anderen viralen Atemwegsinfekten und gesunden Personen verglichen.

Das Ergebnis: "Bei schweren Krankheitsverläufen von Covid-19 kommt es, anders als bislang allgemein angenommen, nicht allein zu einer starken Immunreaktion - vielmehr ist die Immunantwort in einer Dauerschleife aus Aktivierung und Hemmung gefangen", so heißt es in der gemeinsamen Pressemitteilung der beteiligten Institutionen.

Die Immunantwort der sogenannten Neutrophilen und Monozyten seien demnach bei milden und schweren Fällen von Covid-19 durchaus unterschiedlich.

Im Falle eines milden Krankheitsverlaufs seien diese Immunzellen abwehrbereit und würden den Rest des Immunsystems in Gang setzen. "So kommt es letztlich zu einer ausreichenden Immunantwort gegen das Virus", erklärt Antoine-Emmanuel Saliba, Arbeitsgruppenleiter am Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI) in Würzburg. Doch bei schweren Erkrankungen seien Neutrophile und Monozyten zwar zum Teil aktiviert, doch auch in ihrer Funktion gestört, sodass sie eher hemmend auf die Immunreakion wirken.

"Es spricht vieles dafür, dass sich das Immunsystem bei schweren Covid-19-Verläufen gewissermaßen selbst im Wege steht. Dadurch kommt es womöglich zu einer unzureichenden Immunantwort gegen das Corona-Virus, bei gleichzeitiger starker Entzündung im Lungengewebe", so Saliba.

Die aktuellen Befunde der Studie könnten auf neue Therapiemöglichkeiten für Covid-19 hindeuten. Obwohl man bei viralen Infekten das Immunsystem nicht unterdrücken wolle, sei dies bei dysfunktionalen Immunzellen anders, meint Anna Aschenbrenner vom LIMES Institut der Universität Bonn. So könnten Medikamente, die sich auf das Immunsystem auswirken möglicherweise weiterhelfen, erläutert Jacob Nattermann, Professor an der Medizinischen Klinik I des Universitätsklinikums Bonn und Arbeitsgruppenleiter im DZIF weiter. Dies sei jedoch ein Balance-Akt, denn "es geht darum, das Immunsystem nicht gänzlich herunterzufahren, sondern nur jene Bereiche, die sich sozusagen selbst ausbremsen. Das sind in diesem Fall die unreifen Zellen." Hier könne man eventuell sogar Möglicherweise von der Krebsforschung lernen, bei der es Erfahrung mit Therapien gibt, die bei solchen Zellen ansetzen.

In Hinsicht auf die in den kalten Monaten zu erwartenden Grippewelle fordert Ärztepräsident Klaus Reinhardt eine möglichst lückenlose Grippeimpfung des pädagogischen Personals in Deutschland. So sollen weitere Schulausfälle während der Corona-Krise vermieden werden. Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) hält die Mengen an Grippeimpfstoff zum Start der neuen Influenzasaison für ausreichend. Angesichts der erhöhten Impfbereitschaft in diesem Jahr könne es allerdings zu örtlichen Engpässen in einzelnen Praxen kommen, räumt Reinhardt ein.

Es sei jedoch durchaus möglich, dass die Grippewelle in diesem Herbst und Winter harmloser verlaufe als in früheren Jahren: "Durch die Corona-Routine, also durch häufiges Händewaschen, Maskentragen und Abstandhalten, werden Infektionen insgesamt reduziert", so der Ärztepräsident.

Außerdem könne eine Grippeimpfung laut Reinhardt einen positiven Effekt auf das Risiko einer Infektion mit dem Corona-Virus haben. So führe die Grippeimpfung zwar nicht zu einer spezifischen Immunisierung gegen das Corona-Virus, könne aber das Immunsystem derart stärken, dass eine Infektion mit dem neuartigen Erreger harmloser verlaufe.

In der Corona-Pandemie wurde die Grippeimpfung bisher hauptsächlich Risikogruppen wie Senioren, chronisch Kranken und Schwangeren empfohlen. Unter anderem auch, um die Zahl der Krankenhausaufenthalte wegen Grippe möglichst gering halten.

Auch für medizinisches Personal in Krankenhäusern, Pflege- und Senioreneinrichtungen und im Gesundheitswesen wird eine solche Impfung empfohlen.


In "corona nachgehakt" stellen Wissenschaftler und Ärzte neueste Forschungsergebnisse vor. In jeder Ausgabe des 15-minütigen Formats geht es im Gespräch mit Wissenschaftlern und Medizinern aus allen Fachbereichen um einen bestimmten Aspekt des Virus.

Die Sendung wird ausgestrahlt am Donnerstag, den 24.09.2020 um 15:45 Uhr auf phoenix.