selbstbestimmt! Die Reportage

Wer wir sind - Hirnverletzte auf dem Weg zu sich selbst

Es ist wie eine Explosion im Kopf, die Menschen in Bruchteilen von Sekunden komplett verwandelt. Virginie Blei ist seit ihrer Hirnblutung halbseitig gelähmt. Nick Tschirner hat nach einem Verkehrsunfall mühsam wieder sprechen gelernt und kann heute nur noch mit links schreiben. Doch das sind die äußeren Symptome. Im Alltag ist die Behinderung nahezu unsichtbar - und deren Tragweite uns kaum bewusst. Charakter und Persönlichkeit verändern sich oft von Grund auf. Nick Tschirner gibt es jetzt zwei Mal: Vor dem Unfall lernte er spielend leicht, sprach fließend Englisch, lernte Chinesisch. Ein 16-Jähriger, der aktiv und früh selbständig war. Und es gibt den Nick nach dem Unfall. Der Gespräche schnell vergisst, aufbrausend sein kann, kaum etwas ohne Anleitung macht und viele Impulse von außen braucht. Dessen Selbstbewusstsein und Gelassenheit dennoch riesig sind.
Auch Virginie Blei und ihre Angehörigen stehen nach ihrer Hirnblutung vor grundsätzlichen Fragen: Was macht uns aus? Wer sind wir nach einer Hirnschädigung? Und was ist unser unveränderlicher Kern? Virginie Blei, die als Kind und Jugendliche extrovertiert war, immer lachte, fröhlich war und gerne tanzte. Heute gibt es eine ganz andere Virginie. Eine ernsthafte und zarte Person, die sehr nachdenklich ist und tiefgründig über ihr Leben schreibt. Sie hat den Ausdruckstanz für sich entdeckt und fühlt sich damit bei sich.
Über 270.000 Hirnverletzungen gibt es Jahr für Jahr, sagt die Statistik. Eine Behinderung, die jeden zu jeder Zeit treffen kann. Durch Unfälle, Blutungen, Schlaganfälle. Sie sind viel häufiger als Querschnittslähmungen und bei jungen Menschen der Hauptgrund für eine schwere Behinderung.
Wie sehr verändern Hirnverletzungen die Persönlichkeit? Welche Fähigkeiten können wir zurückgewinnen, welche sind für immer verloren? Und können wir wieder zu denen werden, die wir sind und sein wollen? Gibt es sie, die eine unzerstörbare Seele? Wir begleiten Hirnverletzte auf dem Weg zu sich selbst und zurück ins Leben.
Artikel 3 des Grundgesetzes verkündet: "Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden." Doch wird diese abstrakte Norm tagtäglich umgesetzt - und wenn ja, wie? Die Sendung "selbstbestimmt!" geht dieser Frage nach, sei es in Arbeit und Beruf, in der Schule, an der Universität, beim Wohnen, beim Sport oder in der Kultur und Kunst. Selbstbestimmtes Leben, Selbstbestimmung über eigene Angelegenheiten im privaten und im gesellschaftlichen Bereich ist die berechtigte Grundforderung von Menschen mit Behinderung.
Film von Stephan Liskowsky und Dinah Münchow

Die Sendung wird ausgestrahlt am Samstag, den 06.03.2021 um 09:30 Uhr auf ARD-alpha.