The Cleaners

2018

The Cleaners enthült eine gigantische Schattenindustrie digitaler Zensur in Manila. Die Stadt ist der größte Outsourcing-Standort für Content Moderation. Abertausende Menschen löschen in zehn Stunden Schichten belastende Fotos und Videos von Facebook, YouTube, Twitter & Co. Alles im Auftrag von Silicon Valley.

Rezension zu The Cleaners
Thomas Schneider
Thomas Schneider
Online-Redakteur im Haus des Dokumentarfilms

Fast bewegungslos sitzen sie im Dunkeln. Man hört nur ihre leisen, murmelnden Stimmen, die eines von zwei Worten sagen: »delete« oder »ignore«. 25.000 Mal an einem Tag, sagt einer der gefilmten Content Manager, entscheide er, was gelöscht oder ignoriert werde – was also im Falle des Durchwinkens weiter im Internet kursieren dürfe. Damit könne er ins Buch der Rekorde kommen, meint der Mann. In »The Cleaners« geht es allerdings nicht um fragwürdige Erfolge, sondern um viel mehr: Um ein monströses Datennetz und um den Horror des Menschseins in einer Welt, die sich in Bildern definiert. Einer der wichtigsten Dokumentarfilme dieser Tage.

Was müssen das für glückliche Zeiten gewesen sein, als der kanadische Kulturwissenschaftler Marshall McLuhan Anfang der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts das Ende des Buchzeitalters beklagte; oder als rund 20 Jahre später der Medienwissenschaftler Neil Postman postulierte, das Fernsehen würde sich sein verblödetes Publikum selbst erschaffen. Sie hatten es ja nur mit dem Fernsehen zu tun. Die vielleicht wichtigste Eigenschaft eines Fernsehgerätes war und ist es bis heute: der Ausschaltknopf. Wer sich aus der selbstgewählten Idiotie befreien will, ist nur einen Daumendruck davon entfernt. So einfach konnte man Probleme aus der Welt schaffen. Früher. 

Anders ist das zweifelsohne mit dem Monster unserer Tage: man kann ihm nicht entkommen, selbst wenn man es nicht kennt. Abschalten hilft da wenig, denn wer will die Welt noch verstehen, noch ein Teil von ihr sein, mitreden können, sie gestalten, wenn er nicht »im Netz« ist. »Bin ich schon drin?« fragte sich Boris Becker vor knapp zwanzig Jahren für den Internetdienst America Online. Becker hatte noch die Wahl zwischen draussen und Tennis spielen und drin und »hip« sein. Heute muss man wohl sagen: Wer nicht drin ist, ist nicht nur nicht mit dabei – möglicherweise existiert er gar nicht.

Denn: was im Netz ist, das ist unsere Welt, das sind wir, das ist – Fake News hin, Alternative Realitäten her – unsere Form der Realitätswahrnehmung. Bleibt die Frage: wer entscheidet, was Realität sein darf und was wieder verschwinden muss aus dem Netz, damit es die Geschäfte nicht stört. Die Rede ist von den Monstrositäten dieser netzbasierten Welt: von Hinrichtungsvideos; von Pornobildern; von Szenen, deren Inhalt kriminelle Handlungen zeigen; von Hasskommentaren und Hetzaufrufen. Aber auch: von politischen Meinungen, von Zahlen statt Lügen, von Belegen statt Behauptungen. Hier setzt »The Cleaners« ein, ein Dokumentarfilm der Regisseure Hans Block und Moritz Riesewieck, der schon vor seinem Kinostart in Deutschlands Anfang des Jahres beim hoch angesehenen Sundance-Festival für Furore sorgte. Nun ist er in den deutschen Kino angekommen.

»The Cleaners« handelt in erster Linie von den Zehntausenden in Manila, die im Auftrag der Internet-Großkonzerne wie Facebook, Youtube oder Twitter die Putzkolonne sind. Es sind Schattenmänner und -frauen, ihr einfacher Auftrag: das Netz zu kontrollieren. Aber wie macht man das und nach welchen Regeln geht man da vor? Nach dem eigenen Empfinden, nach den Regeln, die, weit entfernt, ein amerikanischer Manager festgelegt hat? Und wer kontrolliert eigentlich die Kontrolleure? Was sich in den knapp 90 Minuten dieses Filmes ausbreitet – teilweise großartig gefilmt, obwohl ja gerade Computerthemen so schwer zu illustrieren sind –  ist nur zu Beginn eine nahe am Menschen spielende Sozialreportage. Später wird daraus eine intelligente Betrachtung darüber, was Realität im Internet-Zeitalter sein kann.

Gerade ein Widerspruch zeigt die Unmöglichkeit der zu leistenden Aufgabe: Auf der einen Seite der Akkord-Zensor in Manila, der zigtausend Fach täglich zwischen »delete« und »ignore« entscheiden muss. Auf der anderen Seite der telegene Auftritte von Marc Zuckerberg, der das gute Netz verspricht. Doch, was ist denn gut? Wer entscheidet, ob ein Nacktbild Kunst oder Pornografie ist? Und noch viel mehr: Wollen wir es für uns entscheiden lassen? Wenn das Internet unsere neue Form der Realität ist, können wir es den Putzleuten in Manila im Auftrag der Milliardäre aus dem Silicon Valley erlauben, dass sie unsere Realität nach ihren Wert- und Moralvorstellungen säubern?

An einer Stelle sagt einer der beklagenswerten Fließbandlöscher: »Früher hatte jeder eine eigene Meinung. Heute hat jeder den Anspruch auf eine eigene Realität.« Dem kann man durchaus zustimmen und muss es doch zugleich als Warnung verstehen: Wenn ein Unternehmen wie Facebook entscheiden darf, was unsere Realität ist, wird man uns auch bald nicht mehr nach unserer Meinung fragen. So geschehen bei Cambridge Analytica, in den Realitätsblasen, durch Wahlkampfmanipulationen. Die Säuberung hat begonnen.

»The Cleaners« ist einer der wichtigsten Dokumentarfilm unserer Tage. Weder »delete«, noch »ignore«!

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Kinostart:17.05.2018 in Deutschland
04.05.2019 in Ungarn
weitere Titel:
The Cleaners ast
Чистильщики
Tisztogatókhu
ソーシャルメディアの“掃除屋”たち
Genre:Dokumentarfilm
Herstellungsland:Deutschland, Brasilien, Niederlande, Italien, Vereinigte Staaten
Originalsprache:Englisch, Deutsch
IMDB: 1696
Offizielle Webseite:www.gebrueder-beetz.de
Regie:Hans Block
Moritz Riesewieck
Kamera:Axel Schneppat
Max Preiss
Produzent:Christian Beetz
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