Wem gehört der Osten?

Das Land

Quelle: ARD-Pressebild
Quelle: ARD-Pressebild

Mehr als 25 Jahre nach dem Fall der Mauer sind die großen politischen und ökonomischen Umbrüche in den neuen Bundesländern weitgehend abgeschlossen. Zeit, Bilanz zu ziehen und die Frage zu stellen: Wem gehört der Osten? Und was ist aus dem von der DDR deklarierten Volkseigentum geworden?
1990 fielen etwa zwei Millionen Hektar Agrarland sowie knapp zwei Millionen Hektar Wald- und Forstfläche aus dem "Volkseigentum" der DDR in die Verwaltungshoheit der Treuhand. Die Flächen sollten schnell verkauft werden, um Geld in die Bundeskassen zu spülen. Grundsätzlich sollten, wie im Einigungsvertrag festgehalten, die Regelungen der Bodenreform und damit auch die Enteignung von Großgrundbesitzern nach dem Zweiten Weltkrieg keine Neubewertung erfahren. Bis heute ranken sich zahllose Streitigkeiten und Entschädigungsfragen um genau diesen Beschluss - denn vor allem auf dem Land betrifft das riesige, wirtschaftlich attraktive Flächen, Wälder und Felder.
Enteignet wurden auch die Vorfahren des Fürsten Heinrich XIV. Reuß. Bis dahin gehörte der Familie seit hunderten von Jahren ein beträchtliches Stück vom Osten - 15.000 Hektar Wald und Land zwischen Gera, Köstritz und Bad Lobenstein. Geblieben sind dem Fürsten heute unter anderem 1.100 Hektar Wald, die er zu Beginn der 1990er Jahre für eine Million DM zurückkaufte. Die Flächen sind heute das Siebenfache wert. "Natürlich freut man sich, dass der Wert des Waldes gestiegen ist, aber für mich ist das nur eine Zahl auf dem Papier. [...] Ich will für meine vier Kinder wenigstens ein bisschen wieder von dem aufbauen, was wir früher einmal hier hatten.", sagt Fürst Reuß.
Davon können die Schachtschabels bisher nur träumen. Seit 25 Jahren kämpfen sie mittlerweile um ein alleiniges Nutzungsrecht der Flächen, die ihnen laut Grundbuch gehören. Sie betreiben einen bäuerlichen Familienbetrieb in Thüringen. In den 90ern war Rainer Schachtschabel Abteilungsleiter der dortigen Agrargenossenschaft, der rechtlichen Nachfolgegesellschaft der LPG. Bei deren Auflösung wurde er Zeuge skrupelloser Vermögensauseinandersetzungen: "Die einfachen LPG-Mitglieder wurden auf Kosten von Wenigen betrogen." Heute besitzt Schachtschabel zwar einige Hektar Land, doch er kann sie nicht einmal vollständig nutzen - die Agrargenossenschaft, legt ihm noch immer Steine in den Weg.
Wo die einen um ihr Land kämpfen, wollen es andere gern meistbietend loswerden. Im Osten gibt es Land zu kaufen und genau darauf hat sich die AGROENERGY AG spezialisiert. Nachdem die Firma auf Podiumsdiskussionen im Osten ihre Wirtschaftsstrategie erklärte, mit dem Geld von Investoren landwirtschaftliche Betriebe aufzukaufen und durch die Erträge hohe Renditen zu erzielen, schlug ihnen vor Ort massenhaft Abneigung entgegen. "Am nächsten Morgen klingelte hier ununterbrochen das Telefon und die Leute sagten: ,Ich habe da einen großen Landwirtschaftsbetrieb [...], den würde ich gern verkaufen.`" 4.200 Hektar Land haben die Einkäufer der AGROENERGY AG so erworben. Seitdem sind die Bodenpreise explodiert. Im Jahr 25 nach der Wiedervereinigung gehen gute Flächen, zum Beispiel in der Magdeburger Börde, auch mal für 38.000 Euro pro Hektar in den Verkauf.
25 Jahre nach dem Ende der DDR sind die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften und Volkseigenen Güter Geschichte, aus dem Land jedoch ist ein echtes Wertobjekt geworden. Der Fortbestand der Bodenreform, die Auseinandersetzungen um fehlerhafte LPG-Umwandlungen und der noch immer andauernde Verkauf von ehemals volkseigenen Flächen mischt Gewinner und Verlierer bis heute neu und sorgt dafür, dass der Osten dauerhaft eine andere Struktur von Besitz und Vermögen auf dem Land haben wird, als sie in den westlichen Bundesländern gewachsen ist.
Dokumentation von Ariane Riecker

Die Sendung wird ausgestrahlt am Dienstag, den 18.10.2016 um 22:05 Uhr auf MDR.