Das Jahrhunderthaus (2/2)

Wie wir liebten

Wie stand es um die Liebe in den 20ern, 50ern und 70ern des vergangenen Jahrhunderts im Vergleich zu heute? Wie lernten sich Paare kennen und wie lange hielt damals im Schnitt eine Ehe? In der zweiten Folge geht es um die Frage: Wie sehr haben sich über die Jahrzehnte Partnerschaft, Sex, Ehe, die Rolle der Frau und das Verhältnis von Eltern und Kindern gewandelt?


Bei jedem Umzug treten Überbleibsel aus der Vergangenheit zutage. Auch die Müllers machen beim Einzug in ihr "Jahrhunderthaus" so manche überraschende Entdeckung. Ein Stapel Liebesbriefe aus den 20ern weckt schwärmerische Gefühle. Hat man sich früher anders und mehr geschrieben als heute? Ging es damals viel romantischer zu? Nüchterne Statistiken zeichnen ein anderes Bild: Heute wird mehr geschrieben denn je - nur auf elektronischem Wege statt auf Papier. Lieber verschicken wir SMS und E-Mails statt parfümgetränkte Liebesbriefe. "Das muss aber nicht schlechter sein", meint die Sexologin Ann-Marlene Henning. "Man kann so schöne Liebes-SMS bekommen."

Tatsächlich ging es in Liebesdingen in der "guten alten Zeit" eher wenig romantisch zu: Die meisten Ehen wurden von den Eltern arrangiert. Die Partnerwahl war häufig eine rationale Angelegenheit. Oft entschieden der Status oder das Einkommen des Mannes. Auch die gleiche Konfession spielte nicht selten eine größere Rolle als etwa erotische Anziehungskraft.

Noch in den 50er Jahren hatte sich daran wenig geändert. In der Zeit nach dem Krieg sehnten sich viele Deutsche nach Ordnung und klaren Verhältnissen. Keine Experimente, auch nicht bei der Partnerwahl. Und nicht selten spielte auch in den 50ern die Liebe nur eine untergeordnete Rolle, wie Schauspieler Richy Müller weiß: "Wie oft mussten Leute heiraten, weil ein Kind unterwegs war. Die haben sich vielleicht gar nicht geliebt. Ich glaube, das war häufiger als eine Liebesgemeinschaft. Aber dann hat man halt geheiratet und sich arrangiert."

Für den "schönsten Tag im Leben" ließen sich viele Bräute in den 50ern ein weißes Hochzeitskleid auf den Leib schneidern und begründeten damit eine Tradition, die bis heute gilt. Das weiße Kleid symbolisierte damals nicht nur Wohlstand, sondern auch Jungfräulichkeit und passte zum strengen Moralkodex der Zeit. Die Ehe war nahezu alternativlos, Zusammenleben ohne Trauschein aufgrund des sogenannten "Kuppelparagraphen" sogar strafbar. Nicht nur, weil dieser 1973 abgeschafft wurde, änderte sich die Gesellschaft von Grund auf. Die Studentenrevolte erfasste auch das Verhältnis von Mann und Frau. Freie Lebensgemeinschaften waren möglich, die WG etablierte sich als neue Lebens- und Wohnform. Der gesellschaftliche Umbruch machte sich auch in der Scheidungsstatistik bemerkbar: Waren es in den 50ern gerade einmal acht Prozent der Ehen, die geschieden wurden, waren es 20 Jahre später schon dreimal so viele. Heute wird jede zweite Ehe geschieden. Aus dem Bund fürs Leben sind im Schnitt 14 Jahre und acht Monate geworden.

Die Rolle zwischen Mann und Frau war in den 50er Jahren noch klar verteilt: Er sorgte für den Lebensunterhalt, sie für Haushalt und Kinder. "Wenn Mutti zu Hause sein konnte, dann hieß das auch für die Arbeiterfamilie, dass sie es geschafft hatte", erklärt Kulturanthropologe Prof. Gunther Hirschfelder. "Früher konnte sich das nur die großbürgerliche Familie leisten."

Erstaunt stellen die Müllers im "Jahrhunderthaus" fest: 1950 hätte Anna Müller nicht einmal ein eigenes Konto ohne Erlaubnis ihres Ehemanns eröffnen können, geschweige denn einen Arbeitsvertrag unterschreiben dürfen. Erst in den 70ern nahm die Emanzipation Fahrt auf, auch dank gesetzlicher Reformen und viele Frauen befreiten sich mehr und mehr von alten Zwängen.

Die Pille trat Anfang der 60er Jahre in Deutschland ihren Siegeszug an und spaltete damit die Nation: "Die Antibabypille automatisiert die Liebe und versaut die Moral", wetterten die Kritiker und prophezeiten schon den "Untergang des Abendlandes". Anfangs durften nur verheiratete Frauen mit der Pille verhüten, mit Zustimmung des Ehemanns. In den 70ern verhütet schon jede zweite Frau mit der Pille und das ist bis heute so geblieben. "Die Pille hat wirklich eine ganze Generation verändert. Man hatte diese Angst nicht mehr, diese große Schande, plötzlich mit einem dicken Bauch aufs Land geschickt zu werden, das Kind zu kriegen, damit es keiner mitkriegt. Endlich konnten di e Frauen Sex haben, nur aus Lust und ohne Angst", meint Sexologin Ann-Marlene Henning.

Und wenn Kinder da sind? Sicher haben sie heute mehr Freiheiten als früher. Doch in den 20er Jahren war der Aktionsradius der Sprösslinge zehn Mal so hoch wie heute: Bis zu fünf Kilometern weit weg von Zuhause mit anderen draußen spielen. Heute entfernen sich Jungen und Mädchen alleine kaum 500 Meter weit weg von zu Hause - auch sogenannten "Helikoptereltern" sei Dank. Film von Elin Carlsson

Die Sendung wird ausgestrahlt am Mittwoch, den 02.12.2020 um 06:45 Uhr auf phoenix.

02.12.2020
06:45
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Schlagwörter:Sexualität, Geschichte, Dokumentation/Reportage
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