Die Familie

2013
Rezension zu Die Familie
Thomas Schneider
Thomas Schneider
Online-Redakteur im Haus des Dokumentarfilms

Einen Grund zum Gedenken gibt es in Deutschland immer. 50 Jahre Mauerbau, 25 Jahre Fall der Mauer. Zum Beispiel. Zwei Termine mit historischem Wert und medialer Rundumversorgung. Der Kölner Schauspieler Stefan Weinert hat mit seinem Dokumentarfilm »Die Familie« einen ganz anderen Ansatz gefunden, der sich genau zwischen diese beiden Daten einreiht. Zwischen 1961 und 1989 starben mindestens 138 Menschen. Man nennt sie bis heute »Maueropfer« und hat sie vergessen. Weinerts Film, der nach einer langen Festivaltour nun endlich in die deutschen Kinos kommt, findet einen nicht leichten, aber lohnenswerten Weg, um ein unbefriedetes Kapitel der deutsch-deutschen Geschichte zu würdigen.

»Befehlsnotstand« nannten es später die Juristen, als sie ihre Mandanten in den »Mauerprozessen« verteidigten. Sie hätten nur einem Befehl gehorcht, als sie auf die Männer und Frauen schossen, die zu jener Zeit die deutsch-deutsche Grenze überwinden wollten, als es an der Bornholmer Straße und anderswo nocht nicht »Grenze auf« hieß. Viele von ihnen wurden regelrecht niedergemäht. Es waren nicht einzelne, in höchster Gewissensnot in die Luft geschossene Patronen, die ihr Ziel fanden. Oft wurden die Opfer, die nichts anderes wollten, als in den anderen Teil Deutschlands zu gelangen, von Dutzenden Kugeln zerfetzt. Jene, die nicht gleich tot waren, verbluteten im Todesstreifen.

Der Dokumentarfilm »Die Familie« erzählt einige dieser Geschichten. Dass es nicht alle sein können, ist nicht nur der Länge des Filmes geschuldet, sondern hat ursächlich damit zu tun, dass auch heute, Jahrzehnte nach den Erschießungen, viele der Hinterbliebenen nicht über ihre Verluste sprechen können. Nur sechs von 138 Familien haben mit dem Filmautor Stefan Weinert gesprochen. »Das sagt eigentliche schon alles aus«, meint der.

»Man lebt so vor sich hin«, sagt eine Frau, deren Mann an der Grenze starb. Eine andere: »Ein Leben ist das nicht.« Frieden, wie er sich im Wort Rechtsfrieden versteckt, stellt man sich anders vor. Rechtsfrieden sei eigentlich hergestellt, hieß es 2004, als ausgerechnet am 9. November der letzte Prozess zu Ende ging. Es gab Bewährungsstrafen. Seither wird, wenn überhaupt, in manchen politischen Kreisen nicht über Schuld und Sühne gesprochen, sondern über die Rechtsmäßigkeit der ganzen Prozesse.

Vor diesem Hintergrund ist Stefan Weinerts Dokumentarfilm wie ein Hammerschlag mitten in die Hochstimmung, die uns 25 Jahre nach dem Fall der Mauer umgibt. Er zeigt nicht jubelnde DDR-Freigänger in jener sektschwangeren Nacht des 9. November 1989, sondern die dunkle Seite der DDR-Macht. »Die Familie« bereitet keine Freude, der Film ist nicht schwungvoll inszeniert, er lässt keinen Lacher zu. Gerade deshalb ist er so wertvoll.

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Kinostart:06.11.2014
06.11.2014 in Deutschland
weitere Titel:
Die Familie
The Family
Genre:Dokumentarfilm
Herstellungsland:Deutschland
Originalsprache:Deutsch
IMDB: 13
Offizielle Webseite:www.diefamilie-derfilm.de
Regie:Stefan Weinert
Drehbuch:Stefan Weinert
Produzent:Stefan Weinert
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